Wann hat man schon mal Zeit, sich ausführlich mit einem Nischengenre wie dem Klarinettentrio auseinanderzusetzen? Der erste Corona-Lockdown war so eine Gelegenheit für den Klarinettisten Daniel Ottensamer, den Cellisten Stephan Koncz und den Pianisten Christoph Traxler. Anders als vielen Künstlern in jenen Tagen ging es den dreien nicht um einen musikalischen Schnellschuss. Vielmehr wollten sie die Zeit des Stillstands nutzen, um tief hinabzutauchen in das Repertoire ihrer Konstellation, wollten erlauschen, welchen Einfluss die Meistertrios von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms auf andere Komponisten hatten, quer durch alle Zeiten und über alle Kontinente hinweg.

»Angefangen haben wir mit den beiden großen Trios«, erklärt Ottensamer, »aber die Reise führte uns immer weiter, an immer spannendere Orte.« Tatsächlich erkundet die Anthologie ganz neue Gebiete, bereist das Frankreich der Jahrhundertwende, sammelt Einflüsse aus dem Jazz und der Neuen Musik, lässt sich nieder in Wien, wo das Trio sogar ein Fragment von Arnold Schönberg zum Klingen bringt, und kombiniert große Meisterwerke mit neuen Klängen.

»Zunächst war da die Idee, die Standardwerke mit Neuer Musik zu konfrontieren, aber die Arbeit an unserem Projekt wurde immer ausufernder, und wir haben immer mehr Werke in unserer Konstellation gefunden, in denen die Klangvielfalt der Klarinette und das Zusammenspiel der drei Instrumente auf vollkommen unterschiedliche Weise ausgelotet wurden«, erklärt Stephan Koncz.

Ottensamer und Koncz haben bereits im Sandkasten zusammen gespielt. Von beiden kam ein Elternteil in den 1970er Jahren aus Ungarn nach Wien, um Musik zu machen. Christoph Traxler stieß während des Studiums dazu. »Wir musizieren seit 15 Jahren miteinander«, sagt er, »und gerade bei einem solchen Projekt, das sich durch die Pandemie auf über ein Jahr ausgeweitet hat, das so viel gemeinsame Suche und Arbeit bedingt, war es wichtig, einander gut zu kennen und zu vertrauen, zusammen auf Entdeckungsreise zu gehen und in den Proben immer wieder neue Ansätze zu finden.«

So haben die drei ganz unterschiedliche Facetten des Klarinettentrios und eine große kompositorische Bandbreite entdeckt. »Ich gehe davon aus, dass diese Besetzung bei Komponisten so beliebt ist, weil diese drei Instrumente unglaublich viele musikalische Möglichkeiten und Klangspektren eröffnen«, sagt Koncz. Der Tonumfang von Klarinette, Cello und Klavier ist im Vergleich zu anderen Musikinstrumenten sehr groß; zudem ist es der Klarinette möglich, rasend schnelle Tonfolgen zu meistern. Sie ist auch das Instrument, das nach der Klassik und Romantik für neue Stile steht wie den Jazz (hier besonders in der Komposition von Daniel Schnyder) oder die Klezmer-Musik. Das Klavier dient bei einigen der vorliegenden Stücke nicht nur als Harmonieinstrument, sondern auch als Perkussions- und Rhythmusinstrument. Gerade in modernen Kompositionen, wie denen von Jörg Widmann und Wolfgang Rihm, werden alle drei Instrumente bis an ihre Grenzen ausgereizt, was so weit geht, dass der Pianist mit einem Plektrum die Saiten zupft und nach Obertönen suchen muss.

Allmählich wuchs das musikalische Projekt von einer Idee zu einer umfassenden Anthologie. Die drei beschlossen, nur Originalkompositionen für ihre Konstellation zu berücksichtigen und keine Arrangements (von denen es eine ganze Reihe gibt). Den Anfang macht Beethovens op. 11, das Finale bildet Magnus Lindbergs Klarinettentrio, in dem die Instrumente auf all ihre klanglichen und instrumentalen Möglichkeiten hin untersucht werden. Dazwischen liegt eine lange, aufregende musikalische Reise, die – wie die drei Musiker festgestellt haben – immer wieder Station in der Musiktradition ihrer Heimat Wien macht. »Es ist erstaunlich, wie oft Komponisten Anleihen bei Wiener Tänzen machen, indem sie etwa Ländler verarbeiten und


Beethoven: Trios opp. 11 & 38

Pärt: Mozart-Adagio

Brahms: Trio op. 114

Kahn: Trio op. 45 & Serenade op. 73

Rihm: Chiffre IV

Schoenberg: Fragment in D minor

Zemlinsky: Trio op. 3

Cerha: 5 Stücke

Frühling: Trio op. 40

Farrenc: Trio op. 44

FaurÉ: Trio op. 120

d’Indy: Trio op. 29

Ries: Trio op. 28

Widmann: Nachtstück

Bruch: 8 Stücke op. 83

Glinka: Trio pathétique

Juon: Trio-Miniaturen

Schnyder: A Friday Night in August

Yun: Rencontre

Rota: Clarinet Trio

Ireland: Trio in D minor

Turnage: Cortège for Chris

Muczynski: Fantasy Trio op. 26

Nørgård: Spell

Lindberg: Clarinet Trio


DAS KLARINETTENTRIO:
IN GESCHICHTE UND GEGENWART

Wann hat man schon mal Zeit, sich ausführlich mit einem Nischengenre wie dem Klarinettentrio auseinanderzusetzen? Der erste Corona-Lockdown war so eine Gelegenheit für den Klarinettisten Daniel Ottensamer, den Cellisten Stephan Koncz und den Pianisten Christoph Traxler. Anders als vielen Künstlern in jenen Tagen ging es den dreien nicht um einen musikalischen Schnellschuss. Vielmehr wollten sie die Zeit des Stillstands nutzen, um tief hinabzutauchen in das Repertoire ihrer Konstellation, wollten erlauschen, welchen Einfluss die Meistertrios von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms auf andere Komponisten hatten, quer durch alle Zeiten und über alle Kontinente hinweg.

»Angefangen haben wir mit den beiden großen Trios«, erklärt Ottensamer, »aber die Reise führte uns immer weiter, an immer spannendere Orte.« Tatsächlich erkundet die Anthologie ganz neue Gebiete, bereist das Frankreich der Jahrhundertwende, sammelt Einflüsse aus dem Jazz und der Neuen Musik, lässt sich nieder in Wien, wo das Trio sogar ein Fragment von Arnold Schönberg zum Klingen bringt, und kombiniert große Meisterwerke mit neuen Klängen.

»Zunächst war da die Idee, die Standardwerke mit Neuer Musik zu konfrontieren, aber die Arbeit an unserem Projekt wurde immer ausufernder, und wir haben immer mehr Werke in unserer Konstellation gefunden, in denen die Klangvielfalt der Klarinette und das Zusammenspiel der drei Instrumente auf vollkommen unterschiedliche Weise ausgelotet wurden«, erklärt Stephan Koncz.

Ottensamer und Koncz haben bereits im Sandkasten zusammen gespielt. Von beiden kam ein Elternteil in den 1970er Jahren aus Ungarn nach Wien, um Musik zu machen. Christoph Traxler stieß während des Studiums dazu. »Wir musizieren seit 15 Jahren miteinander«, sagt er, »und gerade bei einem solchen Projekt, das sich durch die Pandemie auf über ein Jahr ausgeweitet hat, das so viel gemeinsame Suche und Arbeit bedingt, war es wichtig, einander gut zu kennen und zu vertrauen, zusammen auf Entdeckungsreise zu gehen und in den Proben immer wieder neue Ansätze zu finden.«

So haben die drei ganz unterschiedliche Facetten des Klarinettentrios und eine große kompositorische Bandbreite entdeckt. »Ich gehe davon aus, dass diese Besetzung bei Komponisten so beliebt ist, weil diese drei Instrumente unglaublich viele musikalische Möglichkeiten und Klangspektren eröffnen«, sagt Koncz. Der Tonumfang von Klarinette, Cello und Klavier ist im Vergleich zu anderen Musikinstrumenten sehr groß; zudem ist es der Klarinette möglich, rasend schnelle Tonfolgen zu meistern. Sie ist auch das Instrument, das nach der Klassik und Romantik für neue Stile steht wie den Jazz (hier besonders in der Komposition von Daniel Schnyder) oder die Klezmer-Musik. Das Klavier dient bei einigen der vorliegenden Stücke nicht nur als Harmonieinstrument, sondern auch als Perkussions- und Rhythmusinstrument. Gerade in modernen Kompositionen, wie denen von Jörg Widmann und Wolfgang Rihm, werden alle drei Instrumente bis an ihre Grenzen ausgereizt, was so weit geht, dass der Pianist mit einem Plektrum die Saiten zupft und nach Obertönen suchen muss.

Allmählich wuchs das musikalische Projekt von einer Idee zu einer umfassenden Anthologie. Die drei beschlossen, nur Originalkompositionen für ihre Konstellation zu berücksichtigen und keine Arrangements (von denen es eine ganze Reihe gibt). Den Anfang macht Beethovens op. 11, das Finale bildet Magnus Lindbergs Klarinettentrio, in dem die Instrumente auf all ihre klanglichen und instrumentalen Möglichkeiten hin untersucht werden. Dazwischen liegt eine lange, aufregende musikalische Reise, die – wie die drei Musiker festgestellt haben – immer wieder Station in der Musiktradition ihrer Heimat Wien macht. »Es ist erstaunlich, wie oft Komponisten Anleihen bei Wiener Tänzen machen, indem sie etwa Ländler verarbeiten und sich auf jene Wiener Schule berufen, in der auch die beiden Urväter des Klarinettentrios, Beethoven und Brahms, zu Hause waren«, sagt  Christoph Traxler.

 

I. AM ANFANG STEHT BEETHOVEN

Wer sonst als Beethoven sollte am Anfang dieser Anthologie stehen? Sein »Gassenhauer-Trio« ist der Prototyp des klugen und gleichzeitig gut gelaunten Klarinettentrios, das – besonders im dritten Satz – Genie und Popularität vereint. Der »Gassenhauer«, den Beethoven dabei variiert, ist ein Motiv aus der damals populären Hoftheater-Oper Der Korsar aus Liebe von Joseph Weigl. Inspiriert wurde das Stück sicherlich von Mozarts »Kegelstatt-Trio«. Die Allgemeine musikalische Zeitung schrieb 1799: »Dieses Trio, das stellenweise nicht leicht, aber doch fließender als manche andere Sachen vom Verfasser ist, macht auf dem Fortepiano mit der Klavierbegleitung ein recht gutes Ensemble.« Beethoven hat dieses Trio sowohl für Geige als auch für Klarinette (genauer: für den Klarinettisten Joseph Bähr) geschrieben, ebenso wie sein späteres »Grand Trio« op. 38, das eine Bearbeitung seines Es-Dur-Septetts op. 20 ist.

Dass Beethoven sich dieses Septett noch einmal vorgenommen hat, mag an der Popularität des Werkes gelegen haben und daran, dass die Umarbeitung zum Trio den Verkauf noch einmal fördern sollte. Tatsächlich haben wir es in den sechs Sätzen mit der großen Form in kleiner Konstellation zu tun – eine Idee, die bereits Mozart in seinem Es-Dur-Divertimento für Streichtrio (KV 563) meisterhaft ausgeführt hat, das sicherlich als Vorlage für Beethovens Werk gelten kann – ein Werk mit einer wunderschönen Serenade und einem Menuett, in dem Beethoven die burleske Wiener Tanzmusik feiert, und natürlich mit einer Klavierkadenz, die der begnadete Improvisator Beethoven vermutlich bei Privataufführungen jeden Abend neu erfunden hat (in der vorliegenden Aufnahme ist übrigens eine eigene Kadenz von Christoph Traxler zu hören). Sowohl das Septett als auch das Trio bilden in ihrer Lebensfreude und ausgestellten Fröhlichkeit einen großen Kontrast zur oft introvertierten, kalkulierten und sowohl intellektuellen wie virtuosen späten Kammermusik des ertaubten Komponisten.  

Arvo Pärts Mozart-Adagio schlägt einen Bogen von der Wiener Trio-Tradition bis ins Heute. Der estnische Komponist ist bekannt für seine religiös-transzendente Musik und dafür, unterschiedliche Zeitebenen miteinander zu verbinden. Hier sind es originale Mozart-Elemente, die er mit dem von ihm entwickelten Tintinnabuli-Stil kombiniert. Dabei legt Pärt Mozarts dramatisches Lieblingsintervall, die Sekunde, unter sein Kompositionsmikroskop, und erzeugt durch dissonante Reibungen eine Erinnerung an Trauer und Schmerz. Diese musikalisch-spirituelle Begegnung zwischen 18. und 20. Jahrhundert ist eine sphärische Zeitreise, die quasi eine erste Klammer für die gesamte Sammlung darstellt.

 

II. BRAHMS, DER GIGANT

Neben Beethoven ist Johannes Brahms die zweite große Säule dieser Anthologie. Sein Klarinettentrio gilt nicht umsonst als Prototyp des Brahms’schen Spätwerks: altersmilde, ruhig, in großer Abgeklärtheit und Stille das Herbe nicht verleugnend. Verantwortlich für diesen ganz besonderen Klang war sicherlich der Soloklarinettist der Meininger Hofkapelle, Richard Mühlfeld, dessen weicher Ton Brahms immer wieder inspirierte und dessen Instrument der Komponist liebevoll »Fräulein Klarinette« nannte. Mühlfeld war Brahms ab 1891 freundschaftlich verbunden; für ihn schrieb der Komponist das Klarinettentrio in a-Moll op. 114 und später im selben Sommer das h-Moll-Quintett op. 115, das Mühlfeld schließlich zum internationalen Durchbruch verhalf. Tatsächlich war die Klarinette damals bereits aus der Mode gekommen, doch gemeinsam mit Brahms gelang Mühlfeld eine Renaissance des Instruments. Über­haupt ist es spannend, dass es immer wieder die großen Klarinettensolisten waren, die Komponisten zu Werken für ihr Instrument inspiriert haben. Und so wurde Mühlfeld für Johannes Brahms, was der Klarinettist Anton Stadler für Mozart gewesen war: eine Inspirationsquelle. 1891 überwand Brahms noch einmal seine Kompositionsmüdigkeit und schrieb als sein sinnliches Adieu das a-Moll-Trio für Mühlfeld.

Dem Kosmos dieses Meisterwerks bleibt auch der gebürtige Mannheimer Robert Kahn treu. Bei ihrer ersten und einzigen Begegnung im Jahre 1886 hinterließ Brahms einen so bleibenden Eindruck auf den jüngeren Kollegen, dass Kahn fortan seinem großen Vorbild nacheiferte. »Für uns war Kahn eine wirkliche Entdeckung«, sagt Stephan Koncz, »er war mehr als nur ein Brahms-Epigone, er hatte eine eigene Kunstfertigkeit, die sich vollkommen in die Tradition seines Idols stellte.« Kahn lehrte seit 1894 an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin und wurde 1916 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, doch als Jude wurde er 1938 zur Emigration nach England gezwungen. Sein altes Landhaus in Feldberg ist heute eine Jugendherberge. Kahn blieb auch nach dem Krieg in England und starb 1951 in der Grafschaft Kent. Sein Werk geriet danach weitgehend in Vergessenheit und wird erst langsam neu entdeckt.

Wolfgang Rihm hat beim Komponieren stets die Musikgeschichte und ihre Verknüpfung mit der Gegenwart im Kopf. Chiffre IV ist ein hochdramatisches Werk für Bassklarinette, Cello und Klavier, in dem langgehaltene Töne von Pausen unterbrochen werden und sich wohlgesetzte Akzente und kurze Motive in rasanter Dynamik abwechseln. Besonders spannend war es für Rihm, eine Klangfülle innerhalb des Trios zu kreieren, von dem er sagt: »Die Musiker spielen im Bewusstsein, ein Stück für kleines Orchester zu spielen.«

 

III. WIENER STIMMUNGEN

Johannes Brahms bildet auch das ästhetische Sprungbrett für das Klarinettentrio von Alexander Zemlinsky. Es entstand 1896 und damit ein Jahr vor dem Tod von Brahms, und Zemlinsky macht kein Hehl aus seinen harmonischen, melodischen und klanglichen Anleihen an dessen op. 114. Gleichzeitig komponiert er natürlich selbstbewusst in jener Wiener Tradition, die er wie kein anderer neben Gustav Mahler und Richard Strauss definierte. Dabei beruft Zemlinsky sich auf die strenge motivische Arbeit von Beethoven und Brahms, führt sie fort und legt damit einen Grundstein für die Moderne. Seine eigenen Werke bewegen sich in der Spannung zur Tradition und tanzen auf dem Grat zur Zukunft, ohne ihn zu überschreiten. Bei Zemlinsky bleibt das Material jedoch der klassischen Tradition verbunden.

Diese Grenze sollte erst Arnold Schönberg überschreiten. Bekanntlich war er Zemlinskys Schüler, später sein Mitstreiter und schließlich auch sein Schwager. Schönbergs Fragment, das in dieser Anthologie zu hören ist, dauert nur 16 Takte, ist aber eine wahre Trouvaille, die Daniel Ottensamers Trio eher zufällig im Archiv des Arnold Schönberg Center in Wien aufgespürt hat. »Für uns war es eine echte Entdeckung und eine große Freude, dass auch Schönberg sich mit der Form des Klarinettentrios beschäftigt hat – leider viel zu kurz«, sagt Ottensamer. »Interessant ist, dass es genau wie das Zemlinsky-Trio in d-Moll steht, und auch in einer sehr ähnlichen Stimmung beginnt, also sich konkret auf dessen Trio bezieht«, erklärt Koncz, »aber aus irgendeinem Grund hat Schönberg es versäumt, diesen Gedankenblitz noch einmal aufzunehmen. Es hätte uns alle brennend interessiert, wie er weiter mit diesem Material umgegangen wäre.«  

Ein Wiener Urgestein, das sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit dem Neoklassizismus und in den 1950er-Jahren mit der Neuen Wiener Schule beschäftigte und letztlich eine eigene, freie Klangwelt erschaffen hat, ist der 1926 geborene Komponist Friedrich Cerha, dessen Fünf Stücke das Cello etwas mehr ins Zentrum der Triokonstellation rücken, da Cerha dieses Werk zum 50. Geburtstag von Heinrich Schiff komponierte. »Von Schiff war sicherlich auch das Spiel in den hohen Cellolagen inspiriert. Alle Instrumente werden hier an die Grenze des Spielbaren geführt«, sagt Stephan Koncz. Die energischen Mittelsätze kulminieren im letzten Satz dieser kraftvollen Komposition in einer Art Todesmarsch.

Der Wien-Spaziergang der Anthologie wird schließlich vom hochromantischen Pianisten und Komponisten Carl Frühling beschlossen, der nach seinem Tod 1937 viel zu lange in Vergessenheit geraten ist. Frühling kam von Lemberg nach Wien und spielte unter anderem mit dem legendären Rosé-Quartett, benannt nach Arnold Rosé, der über 50 Jahre als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker wirkte und mit einer Schwester von Gustav Mahler verheiratet war. Frühlings Trio begeistert besonders durch den anmutigen, graziös-wienerischen zweiten Satz, durch die Wagner-Anklänge im dritten Satz und das böhmische Temperament im Finalsatz. 

 

IV. REISE NACH FRANKREICH

Beim Abstecher nach Frankreich dreht sich alles um die ureigene französische Spielart des Klarinettentrios, die sich an der Seine entwickelt hat. Den Auftakt macht eine Komponistin, die im deutschsprachigen Raum leider allzu oft vergessen wird. Dabei galt Louise Farrenc zu ihrer Zeit als schillernde Persönlichkeit des Pariser Musiklebens. 1804 in Paris geboren, war sie Professorin am Pariser Konservatorium und verheiratet mit dem Musikverleger Aristide Farrenc. Ihre Musik atmet Mendelssohns Geist. Farrenc war auch dafür bekannt, dass sie unter anderem am Pariser Konservatorium für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen warb. 1850 wurde ihr diese vom Direktor dieser Institution, dem Komponisten Daniel-François-Esprit Auber, schließlich zugestanden. Besonders erfolgreich wurde Farrencs Nonett, an dessen Uraufführung auch der Geiger Joseph Joachim beteiligt war. Nach dem Tod ihrer Tochter und ihres Mannes hörte sie allerdings mit dem Komponieren auf und wurde erst spät wiederentdeckt.

Ein Meisterwerk ist Gabriel Faurés op. 120, das ursprünglich für Klarinette, Cello und Klavier angedacht war, dann aber doch für »gewöhnliches« Klaviertrio mit Geige ausgeführt wurde. Die Idee zum Trio kam übrigens von Faurés Verleger Durand, der den erblindeten Komponisten 1922 aus seiner Depression befreien und an den Erfolg des Klaviertrios von Maurice Ravel aus dem Jahre 1914 anknüpfen wollte. »Ich hatte ein wenig Bauchschmerzen, dieses Stück in die Anthologie aufzunehmen«, sagt Ottensamer, »weil Fauré dieses Werk in der Klarinettenfassung nicht über anderthalb Sätze hinaus vollendet hat. Stattdessen komponierte er es, wohl auf Anraten seines Verlegers, für das damals populärere Instrument, die Geige. Tatsächlich glaube ich aber, dass ihm die Klarinette andauernd im Ohr schwebte, denn mir kommt es vor, als läge die Geigenstimme sehr tief, während sie für die Klarinette in normaler Tonhöhe verläuft.« Vor allem die sonore Klangmischung von Klarinette und Cello macht dieses Stück für Ottensamer so besonders.

Die Paris-Reise wird schließlich durch die mächtige, romantische Komposition des César-Franck-Schülers und Wagner-Verehrers Vincent d’Indy beschlossen. D’Indy hat eine durchaus spannende Biografie: Der Sohn einer alten Adelsfamilie wollte eine radikale Reform des Pariser Konservatoriums, scheiterte aber krachend. 1894 gründete er daraufhin die Schola Cantorum, an der es ihm um die Wiederentdeckung alter Komponisten wie Palestrina, Monteverdi, Rameau und des Gregorianischen Chorals ging. Aus diesem Geschichtsbewusstsein heraus ist auch sein Klarinettentrio entstanden, das zunächst einmal durch seine ausufernden Ausmaße auffällt. Es wird durch eine große Ouvertüre eingeleitet, entfaltet sich im zweiten Satz zu einem spritzigen »Divertissement«, mündet im »Chant élégiaque« fast schon hypnotisch in einen meditativen, pilgerhaften Klang, um dann im Schlusssatz nochmal den ureigenen französischen Esprit aufblitzen zu lassen.

 

V. DEUTSCHE SEELE

Wenn Beethoven und Brahms die Säulen dieser Klarinettentrio-Anthologie darstellen, geht es nun um ihre deutschen Erben. Ferdinand Ries wurde (wie Beethoven) in Bonn geboren und ging 1801 nach Wien. Hier war er, neben Carl Czerny, der einzige Klavierschüler Beethovens. Als die österreichische Armee gegen Napoleon mobil machte, packte Ries im September 1805 Hals über Kopf seine Sachen und entkam der Einberufung. 1808 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete als Beethovens Sekretär, doch nach Unstimmigkeiten mit seinem Lehrer reiste Ries zunächst nach Russland und lebte dann einige Jahre in London, bevor er sich schließlich in seiner rheinischen Heimat niederließ. Vermutlich 1810 komponierte er neben dem Violinkonzert op. 24 auch das Klarinettentrio op. 28, mit dem er direkt an Beethovens große Triotradition anknüpfte.

Max Bruch verglich sich lieber mit seinem Zeitgenossen Johannes Brahms, über den er sagte: »In nur 50 Jahren wird sein Glanz als der des überragendsten Komponisten aller Zeiten hell erstrahlen, während man sich meiner hauptsächlich nur wegen meines g-Moll-Violinkonzertes erinnern wird.« Tatsächlich legte es Bruch in der Regel auch auf populärere Kompositionen an, so wie in seinen Acht Stücken op. 83, die er ursprünglich für Klarinette, Bratsche und Klavier schrieb, später aber selbst für Cello bearbeitet hat – Märchenerzählungen in Musik, die er seinem Sohn Max Felix widmete, der sich als Klarinettist mit »reinem, schlackenfreien Ton und Phrasierung« einen Namen gemacht hatte. Besonders das dritte, hochdramatische Stück, das fünfte mit seiner rumänischen Melodie und das sechste mit einem wunderschönen Nachtgesang sind eindrückliche musikalische Stimmungsbilder.

Und natürlich gehört auch ein Werk des Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann in die Reihe der Beethoven-Erben. Sein frühes Nachtstück spielt mit dem Herantasten der Instrumente, mit radikalen Stilwechseln und Spieluhr-Momenten, die schließlich das Verrinnen der Zeit mit zwölf Glockenschlägen symbolisieren. Eine Komposition, die hemmungslos und lustvoll mit dem musikalischen Gruselkabinett aus Furcht und Schrecken spielt.

 

VI. KLEINE WELTREISE

Der Siegeszug des Klarinettentrios durch die Welt öffnet auch den Blick für die Vielfalt der Formen und unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten dieser Konstellation. Michail Glinka war ein begeisterter Opernliebhaber, freundete sich in Mailand mit dem Belcanto-Komponisten Vincenzo Bellini an und ließ sich von dessen Melodik zu seinem Trio pathétique inspirieren, was besonders in den Klarinettenkantilenen zu hören ist (Glinka, so die Mär, soll sich in diesem Stück mit seinem körperlichen Zusammenbruch auseinandergesetzt haben). Aufgrund des Pathos soll der Solofagottist des Orchesters der Mailänder Scala bei der Uraufführung 1832 ausgerufen haben: »Ma questo è disperazione!« (»Das ist die reine Verzweiflung!«) Glinkas Trio zeigt, dass er seine Musik aus der westlichen Operntradition entwickelte, aus der arienhaften und kantablen Welt der italienischen Musik.

Russisch-nordisches Kolorit bringt Paul Juon in seine Trio-Miniaturen. Juon wurde in Moskau geboren, und 1906 machte ihn der Geiger Joseph Joachim zum Kompositionsprofessor in Berlin. Die Miniaturen beginnen mit einem sentimentalen Geniestreich, einer zutiefst sinnlichen »Rêverie«, gefolgt von einer »Humoreske«. Die anschließende »Elegie« ist ein einziges Wehklagen in f-Moll, auf das in dem »Danse phantastique« eine Art »Schweizer Ländler« mit spukhaft dahinhuschenden Einwürfen folgt. Nicht unwahrscheinlich, dass Juon sich für diesen Walzer den 5/4-Takt im zweiten Satz von Tschaikowskys Symphonie pathétique zum Vorbild nahm.  

Das Werk des Saxophonisten Daniel Schnyder überschreitet alle die für das Klarinettentrio bis dahin geltenden Grenzen. Der vielgespielte Schweizer Komponist, der aus dem Jazz kommt und auch schon mal Stücke von den Rolling Stones und Duke Ellington arrangiert, öffnet in A Friday Night in August die Türen zur Welt. Hier kommt die Klarinette nun eindeutig im Jazz an.

Impressionistisch mutet dagegen das Trio Rencontre des Koreaners Isang Yun an, der in den 1960er Jahren gemeinsam mit John Cage und Bruno Maderna bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt aufgetreten war, bevor er 1967 entführt und nach Korea zurückgebracht wurde. Zwei Jahre später konnte er dann nach Berlin ausreisen. »Es ist wirklich bemerkenswert, wie Yun hier eine ganz eigene Klangwelt erschafft«, sagt Christoph Traxler, »es sind die Glissandi im Cello und die Vierteltöne, mit denen er einen ganz besonderen, panasiatisch anmutenden Klangkosmos kreiert.« Das Stück spielt mit strömenden, kantablen Verläufen, während die Stimme der Klarinette immer wieder aufschreit – eine gezielte Verunsicherung unserer Ohren in harmonischer und rhythmischer Haltlosigkeit.

Gut gelaunten cineastischen Boden im Kammermusikformat zaubert schließlich das Trio von Filmmusik-Legende Nino Rota, ein kurzweiliges, spritziges Werk, »bei dem ich aus irgendeinem Grund immer einen Fiat 500 durch schmale Gassen kurven sehe«, so Stephan Koncz.

 

VII. NORDISCHER NEBEL

Die vorliegende Sammlung, die bei den Trio-Titanen Beethoven und Brahms begann und dann eine Reise von Österreich über Frankreich, Deutschland und Russland unternahm, schließt im Nebel der verregneten, nordischen Küste. John Ireland war Lehrer von Benjamin Britten und atmet in seinem Trio dieselbe feuchte, britische Meeresluft. Während der zweite Satz noch im Stil einer englischen Gigue um ein Seemannslied herum tanzt, kommt es im dritten Satz schließlich zur Katastrophe: Wir hören ein Begräbnis, und ständiges Glockengeläut begleitet die Himmelfahrt.

Fast schon gespenstisch kommt Mark-Anthony Turnages Cortège for Chris daher: ein kurzes Trio mit beunruhigender Chromatik, das eine Welt aus Leere und Unheimlichkeit entstehen lässt – eine Erinnerung des Komponisten an seinen Freund, den Cellisten Christopher van Kampen. Etwas grooviger, mit typisch amerikanischen Tänzen, einer Elegie und einem beschwingten Schlusssatz, dessen Thema an den Flintstones-Soundtrack erinnert, geht es in Robert Muczynskis Fantasy Trio zu.

Jeglichen Halt verweigert Per Nørgårds Spell: Minimal-Music-Anklänge, in denen Stimmen und Takte raffiniert übereinander gelagert sind, sodass ein atemloser Sog entsteht. Nørgård experimentierte hier mit einer neuen, eigens für dieses Stück kreierten Notation, in der sich die Größe der Noten nach der Bedeutung richtet, die ihnen die Interpreten geben sollen. Klar ist: Diese Komposition soll bei jeder Aufführung anders klingen, sie ist nicht dafür gedacht, in Stein gemeißelt zu werden, sondern darf als großer Strom fließen.

Diese Anthologie kulminiert schließlich in einem Werk von Magnus Lindberg, in dem er die Möglichkeiten der Klarinette bis an ihre technischen und physischen Grenzen ausreizt. Daniel Ottensamer meint, »dabei geht es Lindberg nicht darum, das Instrument zu demontieren, sondern darum, seine Ton-Möglichkeiten bis in die höchsten Spähren zu deklinieren«. Und das gilt auch für die beiden anderen Instrumente, Lindbergs Werk ist ein Stück der Extreme. Die Sätze tragen die Namen »Ljud stort, ljud« (»Klinge groß, klinge«), »Som det stilla vi söker« (»Wie die Stille, die wir suchen«) und »Slå våg, slå« (»Krache Welle, krache«). Ein Finale am Rande aller Möglichkeiten.

Axel Brüggemann